Leseproben

das eine oder andere kann auch gehört werden...

eine andere Musik

Auszug aus der Erzählung

"Weiße Maschen"

Lea Ammertal

 

Weiße Maschen


"Das Handgelenk war, wenn auch kräftig, so doch äußerst fein gebaut, und es war schön, das feine Anschwellen des vollen Armes zu verfolgen"
aus: "Unsere Mutter. Erinnerungen von Eugenie Schumann. "


Das schönste Weiß tragen Kirschblüten, dachte Clara Schumann, als sie mit der Häkelnadel den Faden umschlug und durch die nächste Masche nach vorn holte.

Sie haben das schönste Weiß und dabei bleibt es. Zwischen ihren beiden Händen wuchs die Decke aus unzähligen aneinander und ineinander gefügten Maschen. Eine Decke aus feiner ägyptischer Baumwolle.

"Die beste Baumwolle wird in Ägypten angebaut." Es war in Paris gewesen, als sie ausgerechnet diese beiläufig hingeworfene Bemerkung aus dem Mund einer nicht mehr ganz jungen Dame mit beträchtlich hochgetürmtem Haar gehört und nicht wieder vergessen hatte. Im Haar dieser Dame schienen große Seidenblumen wie Schmetterlinge zu nisten. Der Empfang wurde ihr, Clara, zu Ehren gegeben, oder vielmehr ihres Konzerterfolges wegen, der wiederum im wesentlichen ihren Vater und die Früchte seiner Arbeit mit der talentierten Tochter in den Mittelpunkt der interessierten Pariser Musikszene rückte. Selbst Paganini wollte die Kleine hören. Clara Wieck, Tochter von Friedrich Wieck. Produkt väterlicher Anstrengungen und erfolgreicher Bestrebungen, sie nach ganz oben zu bringen. Ägyptische Baumwolle. Beim Häkeln ruhte Claras linke Hand gewissermaßen, ohne dabei untätig zu sein.

Die linke Hand diente der Arbeit der Rechten.

Die linke Hand hielt das wachsende Volumen der Decke und sorgte dafür, dass der um den Zeigefinger gewickelte Faden wartete und währenddessen Daumen und Mittelfinger Masche um Masche als Ziel für den Häkelnadelkopf bereithielten. Mit der Häkelnadel in der rechten Hand von vorn durchstechen, den Faden hinten holen und wieder nach vorne durchziehen.

Clara mochte Handarbeiten, die ihr die Kaffeestunden kurzweilig machten und immer wieder manch lange Zugfahrt überbrücken halfen.

Stunden, manchmal tagelang im stickigen Abteil sitzen und durchs Fenster in die vorüberruckelnde Landschaft starren, während von Zeit zu Zeit das  Eingepackte aus dem Proviantkorb ausgewickelt und verspeist wurde. Es war zu öde. Deshalb musste der Handarbeitskorb mit. Und weiße ägyptische Baumwolle durfte nie ausgehen.

Als junges Mädchen hatte Clara bunte Farben vorgezogen.

Aber seit der Heirat mit Robert und insbesondere seit der Geburt der Kinder durfte es nur noch Weiß sein.

Clara komponierte nicht mehr. Sie musste sich ihre Übezeiten am Flügel mit unerbittlicher Strenge und Härte selbst erkämpfen. Die Erfordernisse des ständig sich vergrößernden Haushalts. Die Familie und ihre Ansprüche und Bedürfnisse.
Täglich hatte sie unter Aufbietung aller Kräfte damit zu tun, das häusliche Treiben in Zaum zu halten und sich nicht mit Haut und Haar auffressen zu lassen.

War es ihrer Mutter Marianne ebenso ergangen? Hatte diese deshalb ihren ersten Mann, Claras Vater Friedrich, verlassen?

Clara träumte oft von einem Tier im Zimmerwinkel, das dort kauerte, nicht größer als eine dicke Spinne, oder vielleicht eine kleine Maus. Plötzlich, genau in dem Moment, in welchem sie ihren Blick von diesem schwarzen Tier im Zimmerwinkel abwandte, gleichsam um es abzuschütteln, sprang es auf sie los.

 

...



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Lea Ammertal

 

Kleid im Kopf

 

 

Kleid im Kopf

 

Ich näh mir

ein Kleid

ein Kleid

aus Kirsch

baumblüten

 

Wie Federn

so leicht

das Kleid

wie ein

Fischleib

geschuppt

das Kleid

 

Sonnen

spiegeln

sich darin

 

feuriges Rot

im Kleid

 

...